Erwachen der Seele

 

 

Das erste Kennzeichen einer erwachenden Seele besteht darin, dass die Seele nicht mehr wie früher Freude empfindet an allen schönen, guten und liebenswürdigen Dingen und Wesen dieser Welt. Und zwar nicht aus Enttäuschung oder Frustration heraus, sondern weil sie langsam aus ihr herauswächst, genauso wie jemand aus dem Spielzeug-Alter ganz natürlich herauswächst.

Sie fühlt, zuerst schwach, dann immer stärker und öfter: "Das ist alles irgendwie zuwenig". Auf dem Weg wird man eine radikale Verlagerung, eine Zerstörung, einen Wegfall der Interessen wahrnehmen, die bisher angeblichen Lebensinhalte eines Menschen ausmachten.

 

Das Emporsteigen, das Sichentfalten von Interesselosigkeit am Bisherigen manifestiert sich.

 

Es füllt die Seele nicht mehr aus. Wohl wusste sie immer, dass sie nicht daran satt sein könne für immer. Da sie vorher ja in Harmonie mit allem zu leben versuchte, verband sie ganz von selbst jenes Freuen auch mit Krishna, den sie in der Schönheit der Natur und in der sinnvollen Abfolge der Geschicke wahrnahm. So freute sie sich mit ihm, aber doch mit ihm an jenen Wesen, an Blumen, Sternen, Menschen, an Musik, Bild und Dichtung, an hohen Gedanken und edlem Tun, an Geschichte, Reisen und Begegnungen.

 

Nun aber wird dies alles schal. Es verklingt und versandet.

Die Seele erfährt eine innere Unsicherheit: "Was ist mit mir geschehen? Weshalb freut mich dies nun nicht mehr von Herzen? Bin ich krank?"

Die Seele empfindet eine grosse Leere und Ernüchterung, wenn sie mit diesem Altgewohnten umgeht. Zuweilen steigert sich das zu einem richtigen Widerwillen, der mit einer nachdenklichen Traurigkeit gepaart ist.

Nicht ständig ist dies so. Man kann auch wieder einmal ganz aufgehen in einem schönen Buch, ganz verzaubert sein von einer herrlichen Symphonie. Aber dann bricht das wieder ab, manchmal mitten während der Freude. Etwas Graues verhüllt alles, entleert und entwertet es - lässt es einfach irgendwie schal werden. Es ist, und das spürt man ganz klar, keinerlei Abwertung drin, sondern ein zusätzliches Geschenk, das ins Leben hineingetreten ist und in dessen Angesicht das bisherige einfach nur den Glanz und den Schein verlor.

Man weiss, dass man etwas ganz anderes sucht und will. Man spürt es im tiefsten immer deutlicher: Dass es Krishna (Gott) ist, nachdem das eigene Herz sucht, und schon seit unzähligen Leben gesucht hat.

Das Suchen kann zum Schreien werden. Man wandert draussen durch blühende Wiesen, die bisher das grosses Entzücken bildeten, man entdeckt eine seltene Blume, auf die man sich immer schon gefreut hatte. Aber was ist in einem? Kein Jubelruf, sondern etwas wie ein Schmerz zieht durch einen hindurch. Oder man starrt auf dieses kleine Wunder der Schöpfung, und einem ist, als flüstere man ganz in der Tiefe: "Dies nur gibst Du mir? Warum nur das? Warum nicht Dich?

Die Seele ist sich gewahr: Krishna ist allgegenwärtig, Sein Wesen leuchtet aus allem, was sie sieht. Aber sie will mehr. Sie will Ihn ohne das andere, ohne seine Werke, die Ihn verhüllen.

Die Liebe sehnt sich nach ihm - unverhüllt von seiner Schöpfung.